Quelle: https://elsternest.blog/2017/04/16/eingesperrt-und-depressiv-teil-i/
Die Haltung von Meeressäugern in zoologischen Gärten und Aquarien ist mittlerweile sehr umstritten. In der Tat deutlich stärker, als die Haltung der meisten anderen Tiere. Auch Menschen, die Zoos sonst eher positiv betrachten, lehnen die Haltung dieser Tiere aus vielen Gründen komplett ab. Die Tiere seien depressiv, ihrer Freiheit und Würde beraubt. Zusätzlich wird dieser Eindruck durch „Skandale“, in Form von Videos oder Fotos, bestärkt.
Im Februar dieses Jahres war es mir erfreulicherweise gestattet, einen Blick hinter die Kulissen der Tierhaltung im Loro Parque auf Teneriffa zu werfen. Dort werden derzeit zwei Arten von Delfinen gehalten: Schwertwale (Orcinus orca) und Große Tümmler (Tursiops truncatus). (Eine Anmerkung vorab: Der Einfachheit halber verwende ich im weiteren Verlauf den Begriff „Delfin“, wenn ich mich auf beide Arten beziehe.)
In dieser Reihe blicke ich auf die wichtigsten Themen der Meeressäugerhaltung, zeige populäre Irrtümer auf und erläutere anhand des Beispiels im Loro Parque, was ein modernes Delfinarium ausmacht.
Teil 1: Ein Leben im Planschbecken?
Das am häufigsten geäußerte Argument gegen die Haltung von Walen und Delfinen ist die Größe der Becken. Ein Delfinarium wäre kein adäquater Lebensraum für diese Tiere, vergleichbar mit einem Swimmingpool für Menschen. Dabei ist es egal, wie groß ein solches Becken letztendlich ist, denn es ist nicht der Ozean und wird es auch nie sein. Aber brauchen diese Tiere wirklich den Platz der Meere um zufrieden zu sein?
Schon allein die Begriffe „Ozean“ und „Delfin“ sind sehr schwammig. Welcher Ozean ist gemeint? Welcher Delfin ist gemeint? Diese Fragestellung ist nicht unerheblich. Denn weltweit gibt es etwa 43 Delfinarten, verteilt auf die unterschiedlichen Weltmeere und sogar Flüsse. Es sollte nicht verwunderlich sein, dass die Haltungsansprüche deshalb sehr unterschiedlich sind, angefangen bei der Wassertemperatur bis hin zur Konstellation und Größe der Gruppen. Aber das alles ist doch unerheblich in Anbetracht der Tatsache, dass diese Tiere alle hunderte Kilometer am Tag zurücklegen, richtig? Nein. Erstens zeigen nicht alle Arten ein so ausgeprägtes Wanderverhalten, und selbst innerhalb einer Art kann es diesbezüglich zu starken Abweichungen zwischen den einzelnen Populationen kommen. Zweitens sollte man sich immer vor Augen halten, dass Tiere niemals grundlos solch weite Strecken zurücklegen. Wenn sie es tun, dann sicher nicht aus purem Vergnügen. Wie in diesem Artikel bereits erklärt wurde, lassen sich Wanderungen immer auf die Suche nach Ressourcen wie Nahrung, Wasser oder besseren Bedingungen für die Jungenaufzucht zurückführen. Das Leben in freier Wildbahn ist eben kein vergnügliches Spiel. Der Kampf ums Überleben zwingt alle Lebewesen dazu, ihre Energiereserven nur für essentielle Aktivitäten, wie beispielsweise den Nahrungserwerb, zu verbrauchen. In menschlicher Obhut fällt die Nahrungssuche komplett weg, und damit auch eine Hauptursache für besagte Wanderungen.
Gerne wird von Gegnern dieser Tierhaltung behauptet, dass wir Menschen ja auch nicht in einem Swimmingpool leben wollen. Diese Art der Meinungsmache ist nichts weiter als Vermenschlichung. Wale und Delfine sind zwar sehr intelligent, jedoch reichen ihre kognitiven Leistungen diesbezüglich nicht an die eines Menschen heran. Bis heute fehlt jeglicher wissenschaftlicher Beleg, dass sich ein Tier seiner „Gefangenschaft“ bewusst ist bzw. überhaupt dessen bewusst sein kann. Davon mal abgesehen, dass sich die Größe moderner Becken kaum mit einem Swimmingpool vergleichen lässt. Rechnen wir das spaßeshalber doch einmal aus:
Ein herkömmlicher Swimmingpool besserer Machart hat etwa die Maße (BxHxT) 3m x 2m x 0,75m. Ein durchschnittlicher Erwachsener ist etwa 1,80m groß. Umgerechnet auf einen ca. 6m langen Schwertwal (männlich) ergeben sich grob aufgerundet die Maße 10m x 6,70m x 2,50m. Solche geringen Maße haben höchstens Becken für die medizinische Behandlung der Tiere, auf welche im nächsten Abschnitt noch weiter eingegangen wird. Zum Vergleich: Das oben gezeigte Showbecken hat allein eine Tiefe von etwa 12m. Diese Rechnung ist keineswegs völlig ernst gemeint. Dennoch zeigt sie ganz deutlich, dass solche Behauptungen eben ziemlich oft an der Realität vorbei gehen.
Das hier soll natürlich kein Plädoyer dafür sein, Meeressäuger in beliebig kleinen Becken zu halten. Ein gewisser Platzbedarf ergibt sich schon allein durch die Größe der Tiere, doch erfüllen wissenschaftlich geführte Delfinarien diese Ansprüche mindestens ausreichend. Wie bei allen anderen Tierhaltungen gibt es auch hier Richtlinien und Standards, die eingehalten werden müssen. Heutzutage sind die Beckenkomplexe moderner Einrichtungen in kleinere und größere Bereiche unterteilt. So gut wie immer vorhanden ist mindestens ein großes Hauptbecken, mehrere Nebenbecken, sowie ein kleiner Medical Pool. Diese Medical Pools sind, wie der Name schon vermuten lässt, speziell für die medizinische Untersuchung und Behandlung konzipiert. Um diese Untersuchungen zu erleichtern, sind sie nicht besonders groß. Da sich die Tiere dort aber nur für eine kurze Zeit aufhalten sollen, ist das nicht weiter problematisch. Dennoch sind sie immer wieder im Mittelpunkt der Kontroverse über Delfinarien, meist durch Schockbilder, welche ein isoliertes Tier in solch einem Becken zeigen. Dabei wird nicht selten behauptet, sie seien dort dauerhaft eingesperrt. Es wird dann oftmals ein Bildausschnitt gewählt, der den wahrscheinlich sogar offenen Zugang zu den anderen Bereichen absichtlich nicht zeigt.
Es konnte interessanterweise schon mehrfach dokumentiert werden, dass sich Tiere gleich zu mehreren freiwillig in relativ kleinen Nebenbecken aufhalten obwohl sie Zugang zu den anderen Bereichen hätten. Auch im Loro Parque konnte ich dieses Verhalten bei den Großen Tümmlern beobachten:
Die Tiere zogen das kleinere Becken dem größeren aus nicht bekannten Gründen vor und spielten dort lieber mit einem Ball, statt das gesamte Platzangebot zu nutzen. Die genauen Ursachen dieses Verhaltens sind offenbar noch nicht genau geklärt, jedoch kann man zumindest daraus schließen, dass die Tiere sich in den kleineren Becken nicht zwangsläufig unwohl fühlen müssen.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Wasserqualität. Dabei hält sich nach wie vor das Gerücht, das Wasser würde aus hygienischen Gründen mit Chlor versetzt werden und daher die Augen der Tiere reizen. Tatsächlich war das vor einiger Zeit noch eine recht häufig angewandte Methode. Die meisten modern geführten Einrichtungen haben mittlerweile jedoch auf eine biologische Wasseraufbereitung umgestellt, die ohne Zugabe von Chlor funktioniert. Der Duisburger Zoo erklärt diese Methode auf seiner Seite ausführlich. Auch der Loro Parque verzichtet auf die Zugabe von Chlor. Betritt man die Räume, in denen sich die riesige Filteranlage von „Orca Ocean“ befindet, so wundert man sich zuerst über den plötzlichen Lärm; denn die Anlage ist nach außen so gut isoliert, dass weder Orcas noch Besucher etwas davon mitbekommen. Die Nähe zum Meer macht es hier sogar möglich, Wasser direkt aus dem Atlantik zu beziehen. Bevor das Meerwasser in die Becken gelangt, wird es zuvor in den großen Filteranlagen aufbereitet. Wasser, das aus dem Becken zurück in die Filter fließt, wird ebenfalls noch einmal gereinigt bevor es zurück in den Atlantik geleitet wird.
Gelegentlich kommt die Frage auf, warum die Becken von Delfinen so „kahl“ und reizarm seien. Im Kontext steht auch die Behauptung, die glatten Wände würden das Echolot der Tiere reflektieren und sie deshalb immensem Stress aussetzen. Über die „reizarme“ Struktur der Becken lässt sich sagen, dass sie zumindest bisher keinen nachgewiesenen Nachteil für die Tiere besitzen. Eine naturnahe Beckengestaltung beinhaltet natürlich auch ästhetische Vorteile, doch scheinen die Tiere selbst kein gesteigertes Interesse daran zu haben. Eine ausreichende Beschäftigung ist unabhängig davon durch Spielzeug, Training und andere Formen von Enrichment gewährleistet. Ob sich eine Einrichtung für eine solche Gestaltung entscheidet, oder die konservative Variante ohne Felsen wählt, hat somit bisher keinen nachgewiesenen Einfluss auf das Wohlbefinden seiner Bewohner. Zu den Vorwürfen bezüglich des Echolots lässt sich ganz einfach antworten, dass ein solches Echolot eben nur so funktioniert. Der Delfin stößt Töne aus, welche auf ein Objekt prallen um anschließend wieder zu ihm zurück reflektiert werden. Dadurch erhält das Tier Informationen über Größe und Beschaffenheit des Gegenstandes. Gestresst oder gar verrückt wird ein Delfin davon sicher nicht.
Eine gute Tierhaltung fängt bei der Unterbringung an, und deshalb ist dieses Thema auch im Bezug auf Meeressäugetiere sehr wichtig. Wissenschaftliche Erkenntnisse tragen dazu bei, die Bedürfnisse der Tiere besser zu verstehen und damit auch ihre Haltung in Menschenobhut stetig zu verbessern. Dabei ist es wichtig, dass wir uns bei der Beurteilung dieser und anderer Tierhaltungen nicht ausschließlich von unseren persönlichen Empfindungen leiten lassen. Nur weil etwas auf den ersten Blick ästhetisch weniger ansprechend wirkt, muss es für die Tiere nicht zwangsläufig von Nachteil sein. Wie immer empfehle ich, sich am besten persönlich ein Bild zu machen und sich bei Fragen direkt an den Zoo und seine Mitarbeiter zu wenden. Ein wissenschaftlich geführtes Delfinarium nimmt seine Aufgaben und Verantwortung gegenüber den Tieren ernst und versucht diese bestmöglich umzusetzen.