Quelle: https://eaam.org/join-letter-to-french-minister/
Sehr geehrte Frau Ministerin,
die European Association of Zoos and Aquaria (EAZA), die European Association for Aquatic Mammals (EAAM), die World Association of Zoos and Aquariums (WAZA), die Association of Zoos Aquariums (AZA) und die Alliance of Marine Mammal Parks and Aquariums (AMMPA) repräsentieren einige der besten zoologischen Einrichtungen der Welt und engagieren sich sowohl lokal als auch global in den Bereichen Naturschutz, Forschung und Bildung.
Wir möchten Sie dringend bitten, die am 29. September 2020 angekündigte Entscheidung, die Zucht von Walen und Delfinen (Cetaceen) in den französischen Zoos und Aquarien zu verbieten, noch einmal zu überdenken. Sollte diese Entscheidung umgesetzt werden, könnte dies negative Auswirkungen auf die In-situ- und Ex-situ-Schutzprojekte von Walen und Delfinen in Frankreich und die Arbeit französischer Naturschützer auf der ganzen Welt haben und das Wohlergehen der Tiere beeinträchtigen.
Nach dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity) sind alle Vertragsparteien, einschließlich Frankreich, verpflichtet, Naturschutz-Maßnahmen Ex-situ als Ergänzung zu den In-situ-Maßnahmen zu ergreifen.i
Die Weltnaturschutzunion (International Union for the Conservation of Nature, IUCN) definiert den Artenschutz Ex-situ als denjenigen, bei dem Tiere unter künstlichen Bedingungen gehalten werden und einem anderen Selektionsdruck ausgesetzt sind als unter natürlichen Bedingungen in einem natürlichen Lebensraum.ii
Der Ex-situ-Artenschutz ist ein Schlüsselelement eines umfassenderen, ganzheitlichen Naturschutzansatzes und steht im Mittelpunkt der meisten Aktivitäten, die von professionellen Zoos und Aquarien durchgeführt werden.
Zoos und Aquarien werden von Einrichtungen wie dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD)iii, dem Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten (Convention on International Trade in Endangered Species CITES), der IUCN, der Päpstlichen Akademie der Wissenschaftenv, der Europäischen Unionvi und vielen anderen führenden Organisationen und Institutionen, die sich für den Erhalt der biologischen Vielfalt engagieren, als führend im Ex-situ-Artenschutz anerkannt.
Fachkenntnisse über das Ex-situ-Management von Cetaceen, wie es in Zoos und Aquarien zu finden ist, sind für die Zukunft der vom Aussterben bedrohten Delfin- und Schweinswalarten von entscheidender Bedeutung. In der Tat weist ein aktueller Bericht der IUCN auf die dringende Notwendigkeit eines frühzeitigen Eingreifens von Ex-situ-Naturschützern hin, um Arten zu retten.vii Er weist darauf hin, dass das Fehlen eines solchen Engagements zu entscheidenden Zeitpunkten direkt zum Aussterben des Yangtse-Flussdelfins (Lipotes vexillifer) und dem wahrscheinlichen Aussterben des Vaquita oder Kalifornischen Schweinswals (Phocoena sinus) geführt hat. Wir sind deswegen der Überzeugung, dass die Abschaffung jeglicher Ex-situ-Schutzmaßnahmen für diese Arten, wie auch für andere, ein schwerwiegender Fehler wäre. Diese Möglichkeit umfasst notwendigerweise die Zucht von Walen und Delfinen, die ein wesentlicher Teil der Lebenserfahrung von Tieren ist, zu deren Sozialverhalten die Jungtieraufzucht gehört.
Durch das Auslaufenlassen der Haltung von Cetaceen in französischen Einrichtungen durch ein Zuchtverbot würde es die französische Regierung ihrem Land unmöglich machen, sich an solchen Schutzmaßnahmen zur Rettung der schon heute oder möglicherweise morgen am stärksten bedrohten Delfinarten zu beteiligen Während die Großen Tümmler derzeit nicht unmittelbar vom Aussterben bedroht sind, ist bei anderen Arten ein unerwarteter und sehr starker Rückgang der Wildpopulationen in sehr kurzen Zeiträumen zu verzeichnen (z. B. der Rückgang der Giraffenpopulationen um etwa 60 % in den letzten zwei Jahrzehnten).
Die Population des Großen Tümmlers (Tursiops truncatus) in Europa wird von der EAZA als EEP (EAZA Ex situ Programm) gemanaged. Das EEP für den Großen Tümmler gehört zu den erfolgreichsten Programmen seiner Art und hat zu einer langfristigen, demographisch und genetisch selbsttragenden Population in Europa geführt. Während das Programm sehr gut funktioniert, würde der Verlust der 29 Delfine in der Obhut französischer Institutionen aus dem Zuchtpool (11% der EEP-Population) die Gesamtsituation prekär machen. Unsere Verbände lehnen die Auflösung von Populationen durch Zuchtverbote entschieden ab, da dies oft das Wohlergehen der Tiere beeinträchtigt, die allein gelassen werden, wenn ihre soziale Gruppe allmählich ausstirbt.
Unsere Netzwerke sind nicht groß genug, um diese Tiere aufzunehmen, und unsere Verbände würden sich energisch gegen jeden Versuch aussprechen, Tiere in Einrichtungen mit einem niedrigeren Tierschutzstandard zu bringen. Außerdem kann kein Tier, das sich derzeit in der Obhut französischer Einrichtungen befindet, ins Meer entlassen werden, und es gibt kein Mandat oder irgendeinen Grund für solche Maßnahmen, denn eine solche Freilassung würde ernsthafte Risiken für einzelne Tiere und wilde Cetaceen-Populationen mit sich bringen. Sollte die angekündigte Entscheidung umgesetzt werden, wären unserer Meinung nach die Lebenschancen dieser Tiere stark eingeschränkt und stünden im Widerspruch zur Auffassung der französischen Öffentlichkeit, dass das positive Wohlergehen der betroffenen Tiere gewährleistet sein muss.
Die Anziehungskraft von Walen und Delfinen, die sich in den Besucherzahlen widerspiegelt, bietet zoologischen Einrichtungen hervorragende Möglichkeiten, die Öffentlichkeit über den Schutz der biologischen Vielfalt aufzuklären und sie zu einem naturschutzorientierten Verhalten zu motivieren.
Obwohl diese charismatischen Arten sehr beliebt sind, gibt es keine solide Begründung, die Haltung und Zucht von Walen und Delfinen anders zu regeln als die von anderen Arten. Wie die Europäische Kommission wiederholt bestätigt hat, sind Cetaceen nicht von der Zoo-Richtlinie ausgeschlossen und unterliegen in der Zoo-Direktive denselben Anforderungen wie alle anderen Arten.viii
Der Schutz der Wale und Delfine befindet sich, wie der gesamte Naturschutz, in einer kritischen Phase, und wir fordern die Regierung nachdrücklich auf, den französischen Zoos und Aquarien zu ermöglichen, weiterhin ihren Beitrag zu leisten.
Wenn wir Ihnen weitere Informationen zum Schutz der Cetaceen, zum Tierschutz und zur Forschung geben können, zögern Sie bitte nicht, uns zu kontaktieren.
Wie Sie sind auch wir der Meinung, dass das Wohlergehen von Walen und Delfinen in menschlicher Obhut eine Angelegenheit von höchstem ethischen und wissenschaftlichen Interesse ist. Wir würden uns über die Möglichkeit freuen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, um dieses Ergebnis zu erreichen.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Thomas Kauffels (EAZA-Vorsitzender), Dr. Renato Lenzi, (EAAM-Präsident), Prof. Dr. Theo Pagel (WAZA-Präsident), Dan Ashe (AZA-Präsident und CEO) und Kathleen Dezio, (AMMPA-Präsidentin und CEO)
i Übereinkommen über die biologische Vielfalt, Artikel 9.
ii IUCN Richtlinien der Species Survival Commission zum Einsatz von Ex-situ-Massnahmen für den Artenschutz.
iii https://www.cbd.int/doc/speech/2020/sp‐2020‐10‐14‐unga‐en.pdf
iv https://cites.org/eng/CITES_S‐G_KeynotePresentation_WAZA2020_15102020
v Abschlusserklärung einer Konferenz der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften mit internationalen Partnern aus Naturkundemuseen, Zoologischen Gärten, Botanischen Gärten und Spezialisten für den Schutz der Biodiversität, 13. bis 14. Mai 2019. Casina Pio IV, Vatikanstadt – 15. Mai 2019.
vi EU-Biodiversitätsstrategie für 2030; Pressemitteilung, “European Commission announces global biodiversity coalition” 3. März 2020; EU Zoorichtlinie (Richtlinie 1999/22/EG des Rates vom 29. März 1999 über die Haltung von Wildtieren in Zoos).
vii https://iucn‐csg.org/integrated‐conservation‐planning‐for‐cetaceans‐icpc/
viii Siehe z.B. den Hinweis auf die parlamentarische Anfrage: E‐000682/2015, Antwort von Herrn Vella im Namen der Kommission vom 27. Februar 2015 („Wale und Delfine sind nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen, und es ist Sache der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass die in Artikel 3 genannten Maßnahmen, auch in Bezug auf die Unterbringung der Tiere, im Einklang mit den Anforderungen der Richtlinie angewendet werden.“)